Dass Bockenheim lange ein Dorf war – ok, das stimmt. Mehr als
tausend Jahre lang. Dann aber, die Welt änderte sich gerade dramatisch, das
Industriezeitalter hatte beginnen, die Dampfmaschine war erfunden und die
Französische Revolution hatte die bisherige europäische Ordnung erschüttert,
da wurde aus dem Dorf Bockenheim eine Stadt.
Kurfürst Wilhelm I. erhob durch Rescript vom 13. Juni 1819 die
Dorfgemeinde Bockenheim zur Stadtgemeinde; Kurfürst Wilhelm Il. erklärte wenige
Jahre später durch Privileg vom 10. August 1822 den Gewerbebetrieb in
Bockenheim „vorbehaltlich der geeigneten polizeilichen Aufsicht“ für
vollständig frei, hob die bestehenden Mühlen- und Bannrechte aller Art auf,
stellte der neuen Stadt es frei, statt der ihren Einwohnern obliegenden
Frohnden eine jährliche Geldabgabe zu entrichten und erteilte den Israeliten in
Bockenheim das Recht, Grundbesitz zu erwerben und jedes bürgerliche Gewerbe
auszuüben.
Die Dynamik der Stadt Bockenheim war eng mit der Entwicklung der
Industrie und der Nachbarschaft zu Frankfurt verknüpft. Bockenheim profitierte
davon, dass Frankfurt noch lange (bis 1866) an der Zunftordnung festhielt und
die Entwicklung der Industrie in der Stadt behinderte.
Im Frankfurter Adressbuch von 1892 heißt des für die
Frankfurt-Touristen: „Bockenheim; Eisenbahn- und Trambahn-Verbindung; zu Fuss
3/8 Stunde. Sehr besuchter Ort, 1885 mit 17.457 Einwohner, gute Wirthschaften.
Bockenheim zählte 1774 etwa 600, 1850 etwa 4.000 Einwohner und ist jetzt zur
drittgrössten Stadt des Reg.-Bez. Wiesbaden herangewachsen. Sehr industrielle
Stadt mit eigener Wasserleitung seit 1890.“
Die Geschichte
des Dorfes und der Stadt Bockenheim wurde in dem umfangreichen,
knapp 400seitigen Buch des großen Bockenheim-Chronisten Heinrich Ludwig
geschrieben und erschien 1940 im Waldemar Kramer Verlag. Das Buch harrt noch
einer Wiederauflage und ist nur antiquarisch erhältlich.
Konzentriert auf die „Beziehungen zwischen Bockenheim und Frankfurt seit Jahrhunderten“ erschien vor wenigen Wochen zum Stadtjubiläum Bockenheims aber immerhin der bereits 1929 im Druck erschienene Vortrag von Heinrich Ludwig in einer neuen Publikation, gemeinsam herausgegeben von den Freunden Bockenheims und dem Verein Institut für Selbstorganisation. Die Text des Vortrages wurde ergänzt durch zahlreiche Fotos aus Bockenheim um die Jahrhundertwende (also 1900!) – Bockenheim war seit dem 1. April 1895 ein Stadtteil Frankfurts geworden und hatte als selbständige Stadt 75 Jahre existiert.
„Bockenheim war schon immer anders – „, so schrieb die FAZ über
das im Herbst 2018 erschienene Buch zur Sanierung Bockenheims 1978-1995, von
dem jetzt bereits die 2. Auflage vorliegt. Das hatte Heinrich Ludwig in seinem
Vortrag vor 90 Jahren so ähnlich formuliert: „Der Name Bockenheim ist seit 15
Jahren im Bahn-, Post- und Handelsverkehr der neuen Bezeichnung Frankfurt-West
gewichen. Das ist aber auch das einzige, was die Bockenheimer gelten lassen; im
übrigen sind sie Bockenheimer geblieben.“
Die Broschüre zum Jubiläum „200 Jahre Stadt Bockenheim“.
Erhältlich: In den Bockenheimer Buchhandlungen, im Hessenshop, im Stadtteilbüro
Bockenheim.
Umfang: 52 Seiten, mit vielen wunderbaren Fotos und einer
historischen Karte Bockenheims als Beilage im Format A3. Preis: € 6,50
[Norbert Saßmannshausen]